Polyphosphate

      Polyphosphate

      Moin,

      wir hatten ja jetzt schon öfters mal im Forum eine Diskussion über unser Trinkwasser, welches wohl die meisten von uns auch als Aquarienwasser verwenden.

      Doch dass die Qualität unseres Trinkwassers abgenommen hat, weiß inzwischen vermutlich jeder.

      Nitratbelastung, Medikamente, Hormone, Industrieabfälle, etc. verschmutzen unser Trinkwasser. Welche Folgen das noch für den Menschen haben wird ist noch ungewiss. Gesund ist es nicht. Und was für einen 110 kg Burschen wie mich nicht gesund ist, schadet einem 20 gramm schweren Fisch erst recht.

      Doch es ist nicht nur die Wasserverschmutzung, die uns Aquarianern den Kopf zerbricht. Auch die Wasseraufbereitung der Stadtwerke stellt für manch einen Aquarianer ein Problem dar.

      Leider ist handelt es sich hierbei um ein sehr junges Thema. In der Aquaristik gibt es nur wenige Berichte zu diesem Thema. Zudem ist es relativ komplex. Wie Nitrat und Nitrit wirken, ist bekannt. Das ermöglicht ein zielgerichtetes und effizientes Handeln.

      Doch wie wirken beispielsweise Polyphosphate? Das weiß noch niemand so genau. Scholar spuckt keine wissenschaftliche Publikation dazu aus.

      Aber tragen wir erstmal das Wissen zusammen, was uns zur Verfügung steht!

      Ich rate dazu erst den Bericht von Michael Wagner und Andreas Konetzy zu lesen:
      amazonas-alfeld.de/index_htm_files/Trinkwasser ist kein Aquariumwasser.PDF

      Was sind Polyphosphate überhaupt? Phosphat kennt jeder von uns. Phosphat ist eine anorganische Phosphorverbindung, die von Pflanzen als Nährstoff genutzt wird. Das "normale" Ortho-Phosphat ist für den Aquarianer messbar. Phosphat ist, genau wie Carbonat, ein Puffersystem. Das dreifach negativ geladene Phosphat kann bis zu drei Wasserstoffprotonen (H+) aufnehmen.

      Unbenannt.png

      Phosphate geben manche Wasserwerke hinzu, um eine Flächenkorrosion der Rohre zu verhindern. Phosphate verbinden sich auf den Rohren mit Eisen und Zink und bilden somit eine Deckschicht, sodass die Rohre nicht mehr rosten können.

      Polyphosphate sind Phosphat-Verbindungen (Poly=viele). Unter dem Austritt von Wasser können sich Hydrogenphosphate miteinander verbinden. Reaktionen, bei denen Wasser entsteht nennt man Kondensationsreaktionen. Es handelt sich so gesehen um eine Veresterung.

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      Polyphosphate stabilisieren die Härte, indem sie Magnesium (Mg2+) und Calcium (Ca2+) (Gesamthärte) binden. Aber auch Mangan (Mn2+) und Eisen (Fe3+) kann von Polyphosphaten aufgenommen werden.
      Die positiven Metall-Ionen werden dabei von den negativen Sauerstoffatomen der Polyphosphate gebunden.


      Die Karbonathärte (Menge der Hydrogencarbonat-Ionen HCO3-) wird dadurch stabilisiert.

      Calcium reagiert mit Carbonat zu Kalk. Im Bad sorgt das für hysterische Hausfrauen, die dem weißen Kristall den Kamp ansagen :D

      HCO3- --> H+ + CO32-

      CO32- + Ca2+ --> CaCO3

      Kalk ist nicht nur unansehnlich auf Duscharmaturen, sondern kann auch Rohre verstopfen. Das ist auch der Grund weshalb Wasserwerke Polyphosphate nutzen.

      Polyphosphate sind zudem sogenannte Threshold-Inhibitoren. Der Threshold-Effekt (=Schwelleneffekt) besagt, dass eine Fällungsreaktion durch Adsorption verhindert wird.
      Kalk, besser gesagt Calcit, ist ein Kristall. Viele Kalk-Moleküle lagern sich zusammen zu einer Art Stein an.
      Polyphosphate verhindern dies, indem sie die einzelnen Kalk-Moleküle (CaCO3) ummanteln. Man spricht von einer Adsorption, wenn ein Stoff sich an einem Festkörper anlagert.
      Calcit ist ein solcher Festkörper. Die Polyphosphate werden nun adsorbiert und die vielen kleinen Calcit-Moleküle können sich nicht verbinden und keine Kristallstruktur aufbauen, weil das Polyphosphat dazwischen hängt.

      Nun, nachdem man sich Polyphosphate mal aus der chemischen Sicht angeschaut hat, fragt man sich natürlich was das für biologische Konsequenzen hat.
      Michael Wagner berichtet von einem vermehrten Algenbewuchs.

      Algen, darunter auch Cyanobakterien, können mehr Phosphat aufnehmen als sie eigentlich brauchen. Damit können sie auch zeitweise überleben, wenn kein Phosphat vorhanden ist. Das überschüssige Phosphat wird dabei als Polyphosphat gespeichert.

      Meine Überlegung: Algen können vermutlich nicht nur Phosphat, sondern auch Polyphosphat aufnehmen. Vielleicht ist die Affinität zu letzterem sogar besser?


      Wagner spricht aber noch weitere Probleme an. Die Reproduktionsrate ging zurück. Wie sich das erklären lässt, weiß ich auch noch nicht.
      Man muss hierbei verschiedene Theorien in Betracht ziehen.

      Können kleinere unpolare Polyphosphate vielleicht durch die Biomembranen hindurchdiffundieren und die Geschlechtsorgane beeinflussen?

      Können Polyphosphate mit ihrem Threshold-Effekt vielleicht von Eihüllen adsorbiert werden, wodurch Spermien schlechter die Eihülle durchdringen können?

      Können Polyphosphate Spermien, die frei im Wasser treiben, adsorbieren, oder auf andere Weise negativ beeinflussen?

      Diese Fragen müssen noch geklärt werden und benötigen weitere Recherchen.

      Dieser Beitrag wurde bereits 1 mal editiert, zuletzt von „Greg“ ()

      Hey Marc,
      ein toller Artikel, ich werde mich deshalb sicher nochmal bei dir melden... Du weist schon... Post und so...

      Andreas Konetzy ist ja leider weggezogen und aquaristisch nicht mehr ganz so aktiv, ich habe aber noch lockeren Mailkontakt mit ihm. Sein Bericht von damals hat in der Aqua.-Szene bei uns recht viel Staub aufgewirbelt. Viele Aquarianer wussten hinterher warum die Nachzucht von vielen Tieren auf einmal nicht mehr klappen wollte.
      Wassertechnisch wird es sicher nicht mehr besser werden, lediglich über Wasseraufbereitungsanlagen usw. wird in Zukunft (in vielen Bereichen schon jetzt) ein vernünftiges Milieu "herzustellen" sein, traurig aber nicht mehr zu ändern...
      Viele Grüße, Apisto...
      Moin Swen,

      Apisto schrieb:

      ein toller Artikel, ich werde mich deshalb sicher nochmal bei dir melden... Du weist schon... Post und so...



      :thumbup:

      Das Thema ist alt, aber immer noch aktuell. Michael Wagner und Andreas Konetzy haben es damals durch empirische Versuche beweisen können, dass Polyphosphate die Reproduktion negativ beeinflussen. Wenn man die genaue Wirkungsweise kennen würde, könnte man eventuell gezielte Vorkehrungen treffen, ohne gleich das ganze Wasser aufzubereiten.

      Aber da sucht man natürlich die Nadel im Heuhaufen. Aber wer weiß, vielleicht findet man ja irgendwo in der Fachliteratur mal was hilfreiches.
      Moin,

      nach langer Zeit gibt es hier mal ein Update. Im Rahmen eines Vortrags in meinem Aquarienverein habe ich das Thema dieses Jahr aufbereitet und einen Artikel dazu für die Vereinszeitschrift verfasst, den ich hier teilen möchte;

      Polyphosphate und Silikate finden in der Trinkwasseraufbereitung immer häufiger Verwendung. Polyphosphate fungieren als Chelatoren. Chelatoren sind mehrzähnige Liganden, die über koordinative Bindungen ein Zentralteilchen komplexieren. In der Trinkwasseraufbereitung nutzt man Polyphosphate, um Calcium (Ca2+) zu komplexieren. Die komplexierten (maskierten) Kalzium-Ionen können so nicht mehr mit Carbonat (CO32-) zu Kalk (CaCO3) ausfallen. Kalkablagerungen verstopfen Rohrleitungen, was meist aufwändige Sanierungsmaßnahmen nach sich zieht. Auch in Waschmitteln wurden Polyphosphate lange Zeit eingesetzt. Pentanatriumtriphosphat diente in vielen Waschmitteln als Enthärter. Die Heizspiralen in Spül- und Waschmaschinen setzen sich bei hoher Wasserhärte schnell mit Kalk zu, ähnlich wie andere Bauteile, was deren Funktionsfähigkeit negativ beeinflusst.
      Neben Polyphosphaten werden in der Trinkwasseraufbereitung auch Silikate verwendet. Silikate bilden mit Alkalimetallen, wie Natrium oder Kalium, wasserlösliche Verbindungen. Zu diesen sogenannten Wassergläsern zählen auch Natron- und Kaliwasserglas. Mit allen anderen Kationen bilden Silikate wasserunlösliche Verbindungen. In der Natur kommt Silicium daher häufig in Mineralien vor. Eines dieser Mineralien ist Wollastonit, ein Calcium-Silikat. In den Rohrleitungen bilden sich ebenfalls Calcium-Silikate. Diese setzen sich auf den Rohren ab und bilden eine Deckschicht. Die Deckschicht verhindert, dass Passivierungsschichten, wie beispielsweise Chromoxid-Schichten, durch Halogenide punktuell angegriffen werden und es dadurch zur sogenannten Lochfraßkorrosion kommt.

      Für den Aquarianer ergeben sich daraus jedoch einige Probleme. In Regionen, in denen Polyphosphate und Silikate zum Einsatz kommen, wird zum Beispiel häufig ein vermehrtes Algenwachstum beobachtet. Pflanzen sind in der Lage Nährstoffe bei einem Überangebot zu speichern. So kommt es beispielsweise zur sogenannten "Phosphat-Falle". Die meisten niederen Pflanzen, wie die Grünalgen I und II, aber auch basalere Gruppen wie die Cyanobakterien (Blaualgen), speichern (Ortho-)Phosphat in Form von Polyphosphat. Höhere Pflanzen, wie die Tracheophyten, zu denen auch die meisten unserer Aquarienpflanzen gehören, speichern (Ortho-)Phosphat in Form von Phytat, dem Salz der Phytinsäure. Algen (und andere Plastidenträger) besitzen also entsprechende Enzyme, um sich die einzelnen Orthophosphat-Monomere aus den Polyphosphaten zugänglich zu machen. Höheren Pflanzen fehlen diese Enzyme. Dieser "Nährstoff-Monopol" führt zu einem Ungleichgewicht und begünstigt das Wachstum diverser Algen.
      Silikate begünstigen vor allem das Wachstum von Kieselalgen (Bacillariophyceae), da diese Siliziumoxide in ihre Zellwand einlagern.

      Ein weiterer, für den Aquarianer sehr wichtiger Aspekt, ist die Beeinflussung von Polyphosphaten auf die Befruchtungsrate der Eier. Die meisten echten Knochenfische sind ovipar (eierlegend). Es findet eine äußere Befruchtung statt, anders als bei viviparen Fischen, welche meist ein Koppulationsorgan besitzen. Das Fischei selbst besteht aus einer Eikapsel, dem Chorion. Das Chorion besteht vor allem aus Proteinen und Lipiden. In der Eikapsel befindet sich die weibliche Eizelle (Oocyte). Diese ist meist mit endolecithalen Dotter-Vorräten versehen. Der Dotter dient dem Embryo in den ersten Tagen/Wochen als Nahrungsquelle. Kommt es zur Befruchtung, teilt sich der animale Teil der Eizelle (dort wo sich das Erbgut befindet). Es findet eine diskoidale Furchung (Blastulation) statt. Es entsteht im Ansatz der Dottersack, der den ungefurchten Dotter umhüllt, und die sogenannte Keimscheibe, aus der sich während der anschließenden Gastrulation die drei Keimblätter bilden, die letztendlich die fertige Fischlarve bilden.
      Doch wie genau kommt es zur Fertilisation (Befruchtung)? Die Eikapsel ist ein recht stabiles Konstrukt, das die Eizelle vor äußeren Einflüssen schützt. Wenn man an Extrembeispiele wie Killifische denkt, wird schnell deutlich weshalb diese Eikapsel notwendig ist. Im Chorion gibt es nur eine winzige Öffnung, die Micropyle. Micropyle leitet sich von micros (griech.) = klein und pylé (griech.) = Tor ab. Sie stellt also das kleine Tor dar, welches die Spermien passieren müssen, um die Eizelle zu befruchten. Doch im Vergleich zur Gesamtoberfläche des Eis, ist die Micropyle sehr klein, meist nur wenige Micrometer. Um die Befruchtung effizient zu machen, findet man bei vielen Arten Glykoproteine, die als Spermienlockstoff dienen und die Spermien in den Micropylarkanal navigieren. Der genaue Mechanismus ist noch nicht bekannt, doch MISA´s (Micropylar sperm attractants) funktionieren nur durch eine Calcium-Ausschüttung. Andere Arten hingegen, wie beispielsweise Reisfische (Medakas), nutzen keine MISA´s. Hier besitzt die Micropyle eine besondere Form, meist trichterförmig, sodass die Spermien rein physikalisch in den Micropylarkanal gelangt.
      Welchen Schaden Polyphsophate, und möglicherweise Silikate, anstellen können, lässt sich erahnen. Es ist denkbar, dass die Enthärter das Calcium komplexieren, sodass der MISA-Mechanismus nicht mehr funktioniert und die Befruchtung ineffizient wird.
      Gleichzeitig macht dies deutlich, wie wichtig bei oviparen Fischen die Wasserparameter sind. Zwar lassen sich viele Fische aus weichem Wasser in deutlich härterem Wasser erfolgreich halten, doch die Zucht gelingt nur bei bestimmten Wasserwerten. Ein Umstand, der sich möglicherweise auf demselben Mechanismus stützt.

      Da der Versuchsaufbau von M. Wagner und A. Konetzky jedoch nicht den eindeutigen Schluss zulässt, dass Polyphosphate bzw. Silikate die Schuld daran tragen (es fehlt schlichtweg die genaue Kenntnis darüber was in deren Leitungswasser überhaupt enthalten war), lässt sich darüber nur spekulieren. An neuen Versuchen bin ich weiterhin interessiert, in dem Wissen, dass weder adulten Tieren, noch Tieren im larvalen Stadium Schaden zugefügt wird.

      Die Publikation von Yanagimachi, R., et al. "Sperm Attractant in the Micropyle Region of Fish and Insect Eggs" ist sehr lesenswert. Eine PDF gibt es hier; researchgate.net/publication/2…n_of_Fish_and_Insect_Eggs